Losgröße 1: Wie die Einzelfertigung dank ERP automatisiert wird
Die Umsetzung individueller Kundenanforderungen betrifft immer mehr Produktionsunternehmen. Kundenzentrierung, Personalisierung und Differenzierung sind mehr als Schlagworte. Diese Faktoren erfordern eine Ausrichtung der Produktion in Richtung Losgröße 1. Doch welche Prozesse, Strukturen und Systeme sind erforderlich, um die hierfür notwendige Flexibilität zu realisieren?
Trend geht klar in Richtung Losgröße 1
Der Deutsche Industrie 4.0 Index (2017), eine Erhebung der Unternehmensberatung Staufen, zeigt einen klaren Trend. Bereits bei 20 Prozent der 400 befragten Industrieunternehmen wird Losgröße 1 zu Serienfertigungskosten realisiert. 60 Prozent der Unternehmen bewerteten diesen Faktor als wichtiges Erfolgskriterium. Besonders ausgeprägt ist die Situation schon heute im Maschinen- und Anlagenbau, wo Produktindividualisierung seit jeher hohe Bedeutung hat. Hier verwirklichten bereits 22 Prozent Losgröße 1 oder standen unmittelbar vor einer Realisierung. Weitere 40 Prozent wollen in den nächsten zwei bis fünf Jahren nachziehen. Ähnlich stellt sich die Situation in der Elektroindustrie dar. Beide Branchen sind sich einig, dass Losgröße 1 strategisch bedeutsam ist.
Welche Konsequenzen ergeben sich für Industrieunternehmen?
Während individuelle Anforderungen und Änderungswünsche von Kunden in der Einzelfertigung traditionell zum Unternehmensalltag zählen, ist Losgröße 1 für viele Serienfertiger eine neue Herausforderung. Aus Gründen der Wettbewerbsfähigkeit werden selbst Hersteller von Massenprodukten nicht umhinkommen, personalisierte Produkte zu realisieren. Hierdurch steigt naturgemäß die Variantenvielfalt, was wiederum zu einer nie dagewesenen Komplexität in der Produktion führt. Zwangsläufig stellt sich die Frage, ob sich individuelle Kundenangebote überhaupt mit einer effizienten Fertigung vereinbaren lassen und ob sich die Produktion unter diesen Rahmenbedingungen noch optimal steuern lässt. Weiterhin dürften nachfolgende Faktoren für Kopfzerbrechen bei Entscheidern sorgen:
- Eine höhere Variantenvielfalt erfordert höhere Lagerbestände.
- Individualisierte Produkte führen nicht zwangsläufig zu den erhofften Umsatzsteigerungen.
- Rüstkosten und Rüstzeiten steigen durch häufige Anpassungen signifikant.
- Geringere Losgrößen erhöhen zwangsläufig die Komplexität der Produktionsprozesse.
- Eine suboptimale Produktionsplanung kann zu höheren Durchlaufzeiten führen.
Nicht zu vernachlässigen ist die Tatsache, dass eine individualisierte Produktion eine langfristige Planung erschwert und kurzfristige Reaktionen erfordert. Entsprechend ist die gewohnte Planungssicherheit nicht mehr gegeben. Nicht nur das Unternehmen selbst, sondern die gesamte Wertschöpfungskette, muss daher agiler - also anpassungsfähiger und schneller - werden.
Glücklicherweise entstehen heute fortlaufend neue Technologien, mit denen es möglich ist, all diesen Herausforderungen zu begegnen. Im Wesentlichen sind dies Industrie-4.0-Anwedungen, IoT, intelligente ERP-Software sowie Datenaustauschtechnologien. Hinzu kommt künstliche Intelligenz, die schon bald in der Lage dazu sein könnte, anstehende Aufgaben innerhalb kürzester Zeit im gesamten Wertschöpfungsnetzwerk zu koordinieren und Entscheidungen selbstständig zu treffen. Sehen wir uns die technologischen Voraussetzungen für Losgröße 1 im Folgenden näher an.
Welche Technologien sind für Losgröße 1 erforderlich?
Um Losgröße 1 wirtschaftlich zu realisieren, ist eine konsequente Digitalisierung unerlässlich. Eine agile „Smart Factory“ erfordert hierbei grundsätzlich eine zentrale Datenhaltung ohne IT-Insellösungen - dies gilt über die Unternehmensgrenzen hinaus. Die Planung der Produktion, der Logistik und sämtlicher Ressourcen übernimmt in diesem Szenario nach wie vor eine übergeordnete ERP-Software. Daneben ist ein hoher Automatisierungsgrad der Produktion erforderlich, welcher im Rahmen von Industrie 4.0 durch ein Zusammenspiel intelligenter Objekte (IoT) und autonomer Produktionsanlagen (unter anderem Roboter) realisiert wird.
Beispiel: Losgröße 1 im vollständig digitalen Produktionsunternehmen
Betrachten wir ein Beispiel, um die Zusammenhänge zu verdeutlichen: Ein Unternehmen produziert Leiterplatten in größeren Mengen. Es wird stets die optimale Losgröße ermittelt, um die Kosten gering zu halten. In jüngster Zeit kommt es jedoch vermehrt vor, dass Kunden einzelne Platinen mit speziellen technischen Eigenschaften benötigen. Der Vertrieb gibt zu bedenken, dass solche Sonderwünsche aus Gründen der Kundenbindung unbedingt erfüllt werden sollten. Dem gegenüber ist klar, dass Sonderanfertigungen enormen Aufwand verursachen, die Planung durcheinanderbringen und daher insgesamt als unwirtschaftlich zu bewerten sind. So jedenfalls stellt sich die Lage im traditionellen Produktionsbetrieb dar.
Anders könnte das Szenario in der Einzelfertigung von morgen aussehen. Im Rahmen von Industrie 4.0 beginnt der digitale Prozess bereits beim Kunden. Dieser hat einerseits Einblick in die aktuelle Bestands- und Auslastungssituation der Produktion und ist andererseits in der Lage, seinen Auftrag samt technischer Spezifikationen elektronisch zu übermitteln. Nun kommt die ERP-Software ins Spiel. Sie generiert aus der Kundenbestellung automatisch einen Produktionsauftrag und errechnet Stücklisten für alle notwendigen Teile und Komponenten. Die angeschlossene Produktionsplanung und -steuerung, welche voll mit den Produktionsanlagen vernetzt ist, ermittelt anschließend, wann die nächsten Kapazitäten frei sind, um die Sonderanfertigung vorzunehmen, ohne das hierbei die laufende Serienproduktion unterbrochen wird. Zudem stellt die ERP-Software die Materialverfügbarkeit sicher und ordert fehlendes Material online bei den Zulieferern. Der Kunde erhält innerhalb kurzer Zeit eine Rückmeldung zum Liefertermin und kann den Status seines Auftrags zudem online verfolgen.
Zur autonomen Steuerung der Produktion werden die Rohlinge der Leiterplatten mit RFID-Chips ausgestattet. Die Chips enthalten unter anderem die vom Kunden bereitgestellten Konstruktionsdaten. Das „smarte Objekt“ bewegt sich nun eigenständig durch die einzelnen Produktionsschritte, wobei Maschinen und Roboter die Anweisungen direkt vom Chip erhalten. Benötigte Teile aus dem Lager werden automatisch und „just in time“ zugeliefert. Nach jedem Arbeitsschritt wird außerdem die Zustandsinformation des Rohlings auf dem Chip aktualisiert, wodurch die nachfolgende Maschine weiß, was zu tun ist. Die Informationen werden zudem fortlaufend in das ERP- bzw. PPS-System zurückgemeldet, wodurch der aktuelle Status stets transparent ist.
Zugegeben: Solche Szenarien sind vielerorts noch Zukunftsmusik. In der Praxis sind Industrieunternehmen häufig nach wie vor durch inkompatible Softwarelösungen, Systembrüche und papiergebundene Prozesse geprägt. Umso wichtiger ist es jedoch, bereits jetzt die Basis für die flexiblen Fertigungsprozesse der Zukunft zu schaffen. Insbesondere die Einführung einer branchenspezifischen und innovativen ERP-Software stellt hierbei die ideale Ausgangslage dar.
Fazit: ERP-Software trägt maßgeblich zur flexiblen Produktion bei
ERP-Software basiert auf dem Grundgedanken der Vernetzung und führt Prozesse in einem zentralen System zusammen. Im Zuge von Industrie 4.0 wird sich das Aufgabenspektrum von ERP-Lösungen jedoch erweitern. Einerseits wird ERP zur bedeutsamen Integrationsplattform, die Daten unterschiedlichster Herkunft verknüpft. Andererseits wird ERP für die Planung und Steuerung von hoch dynamischen Fertigungs- und Logistikprozessen zuständig sein.
Nicht nur in puncto Losgröße 1 müssen ERP-Systeme künftig außerdem dazu in der Lage sein, Wertschöpfungsnetzwerke abzubilden, in denen Produktionsunternehmen, Kunden und Lieferanten ohne Systembrüche miteinander interagieren. Gelingt dies, so ist Industrieunternehmen möglich, eine maximale Kundenorientierung zu realisieren und individuelle Produkte herzustellen, ohne hierbei die Wirtschaftlichkeit zu gefährden. Im Gegenteil: Eine flexible Produktion auf Basis intelligenter Technologien wird einer der entscheidenden Wettbewerbsfaktoren der kommenden Jahre sein.