Blog

Verschläft Deutschland die Digitalisierung? Eine Bestandsaufnahme.

Lediglich sechs Prozent der deutschen Unternehmen zählen zu den Digital Leadern und haben die Digitalisierung fest in ihrer DNA verankert. Zu diesem Ergebnis kommt der aktuelle Digital Transformation Index von Dell Technologies. Bedenklich: Über vierzig Prozent der befragten Unternehmen zählen nach wie vor zu den Nachzüglern ohne Investitionsmittel oder mit vorläufigen Transformationsplänen. Längst finden die bahnbrechenden digitalen Entwicklungen in anderen Teilen der Welt statt, allen voran in den USA und Asien.  
Deutschland scheint die Digitalisierung trotz aller Schlagworte in der Presse und Milliardenprogrammen der Regierung zu verschlafen. Doch warum ist die Lücke zwischen Wollen und Können gerade in Deutschland so groß – dem Land der Erfinder und Ingenieure? Was müssen wir tun, um im internationalen Wettbewerb nicht abgehängt zu werden?
Wir haben aus Studien und Umfragen fünf wesentliche Handlungsfelder identifiziert.  

 

Handlungsfeld #1: Kultur

Ein Großteil der deutschen Unternehmen ist noch in traditionellen, hierarchischen Organisationsstrukturen verhaftet, was die notwendige Schnelligkeit und Agilität im Denken und Handeln verhindert. Deutsche Unternehmen arbeiten solide und verlässlich und setzen bevorzugt auf sichere Entscheidungen – Werte, die über Jahrzehnte zum Erfolg der deutschen Wirtschaft beigetragen haben, im Zeitalter der Digitalisierung nun aber zum Bremsklotz werden. Gefragt ist mehr Mut, Freude an Innovation, eine neue Fehlerkultur und die Bereitschaft, klassische Wertschöpfungsketten zugunsten disruptiver Geschäftsmodelle aufzulösen.

"Man muss befürchten, dass 50 Prozent der mittelständischen Zulieferunternehmen in Deutschland die nächsten 15 Jahre nicht überleben werden."
Christian Eich, Unternehmensberater, Evolvio

Handlungsfeld #2: Infrastruktur

Während Regierungsmitglieder bereits von Flugtaxis träumen, kämpfen viele ländliche Regionen in Deutschland noch mit riesigen Funklöchern. Im europaweiten Vergleich der Versorgung mit dem Mobilfunkstandard 4G schneidet Deutschland schlechter ab als Länder wie Polen und Albanien. Lediglich 2,6 Prozent aller Breitbandanschlüsse in Deutschland waren 2018 mit Glasfaser verbunden – damit ist Deutschland ein Glasfaser-Entwicklungsland. Im Vergleich: Absolute Weltspitze ist Südkorea mit einem Glasfaseranteil von 78,5 Prozent.

Ohne eine flächendeckende leistungsfähige Infrastruktur bleibt jedes noch so ambitionierte Digitalisierungsprojekt ein Plan auf Papier. Für die praktische Umsetzung von Industrie 4.0 benötigt Deutschland einen konsequenten Ausbau des Mobilfunknetzes in Richtung des künftigen 5G-Standards und eine zügige Intensivierung der Glasfasertechnologie.

Handlungsfeld #3: Regulierung

Im Zusammenhang mit der Digitalisierung herrscht in Deutschland die berüchtigte „German Angst“: Umfragen zufolge zählen wir zu den Ländern, in denen der digitale Wandel am skeptischsten betrachtet wird. Das spiegelt sich auch in einer überdurchschnittlich scharfen gesetzlichen Regulierung wider – Experten zufolge einer der Gründe, warum digitale Erfolgsgeschichten wie AirBnB, Uber oder Facebook in Deutschland nicht die richtigen Rahmenbedingungen finden.

Teilen statt Besitz und Flexibilität statt Regeln werden von deutschen Gesetzeshütern argwöhnisch betrachtet. Die Herausforderungen sind zugegebenermaßen groß, von Datenschutz über Arbeitszeitmodelle bis hin zu Steuerrecht, immer im Spannungsfeld zwischen grenzenloser Freiheit, wirtschaftlichem Nutzen und gesellschaftlicher Verantwortung. Der Gesetzgeber ist am Zug, hier eine sinnvolle Balance zu finden, die Digitalisierung vorantreibt und gleichzeitig die Interessen der Verbraucher schützt.

Handlungsfeld #4: Wissenschaft

Zwar ist Deutschland nach wie vor Patent-Weltmeister und deutsche Hochschulen gelten als Innovationsmotor – doch gelingt es nicht ausreichend, diesen wissenschaftlichen Vorsprung in Mehrwerte für den Markt zu übersetzen. Ein wesentlicher Erfolgsfaktor der Digitalisierung wird deshalb die Intensivierung von Kooperationen zwischen Wirtschaft und Hochschulen sowie der schnelle und reibungslose Transfer neuer Technologien in konkret nutzbare Anwendungen.

Handlungsfeld #5: Fachkräfte

Bei der Ausbildung des digitalen Nachwuchses erhält Deutschland schlechte Noten. Kernkompetenzen für die digitale Transformation werden nicht oder unzureichend vermittelt. Laut der Prognose „Arbeitslandschaft 2040“ werden bereits im Jahr 2020 in Deutschland 1,8 Millionen spezialisierte Arbeitskräfte fehlen. Jeder fünfte mittelständische Betrieb klagt über Schwierigkeiten bei der Suche nach qualifiziertem Personal.

Politik und Wirtschaft sind gefordert, insbesondere die MINT-Bereiche in der Ausbildung stärker zu fördern und attraktive Arbeitsumfelder zu schaffen, um die Lücke zwischen Angebot und Nachfrage möglichst zeitnah zu schließen.

„Besonders vor dem Hintergrund des sich immer weiter verstärkenden Fachkräftemangels einerseits und den Möglichkeiten von Geschäftsmodell-Erweiterungen andererseits, kann der Stand der Digitalisierung nur als bedenklich eingestuft werden.“
Prof. Dr.-Ing. Gerrit Sames, Technische Hochschule Mittelhessen

 

Fazit: Deutschland muss aufwachen!

Die Uhr tickt und Experten sind sich einig: Wenn Deutschland nicht zur verlängerten Werkbank des Silicon Valley werden will, müssen Politik, Wirtschaft und Wissenschaft handeln. Noch besteht die Chance, die großen Veränderungen aktiv mitzugestalten statt sie nur geschehen zu lassen.

Letzte Blogs